Einfluss von Arbeit 4.0 auf Ihren Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente
Wer mindestens sechs Stunden am Tag noch arbeiten kann, für den gibt es gewöhnlich keine EU-Rente. Doch keine Regel ohne Ausnahme! Der im Sozialrecht tätige Rechtsanwalt Christopher Richter, LL.M.Eur. stellt Ihnen die interessante Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 12.04.18 (Az.: L 8 R 808/15) vor:
EU-Rente trotz gebrochener Erwerbsbiographie
Gebrochene Erwerbsbiographien sind ein häufiger Grund für Altersarmut. Nicht wenige Menschen im Osten sind durch die gewaltigen wirtschaftlichen Umbrüche durch die Wende hiervon betroffen. Im vorliegenden Fall hatte das Landessozialgericht aber über einen besonderen Fall zu entscheiden.
EU-Rente trotz Entlassung und Arbeitslosigkeit
Die Klägerin hatte von Anfang an eine Lese- und Rechtsschreibschwäche und war, was die Rechenfähigkeit angeht, auf niedrigstem Stand. In der ehemaligen DDR hatte sie zunächst als Facharbeitrin Technische Textilien gearbeitet und schulte dann auf Gartenbaufacharbeiterin um. Nach einer 18-jährigen Phase der Arbeitslosigkeit nach der Wende, bekam sie zwei Jahre das „Gnadenbrot“ im Golfklub ihres Schwiegersohns, bis sie aufgrund Schulterschmerzen wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen worde. Am 25.02.2013 stellte sie Antrag auf EM-Rente, die nun – mit Ablauf der Wartefrist von 50 Monaten nach § 43 II Nr. 3 I.V.m. § 50 I SGB VI ab 01.03.13 in voller Höhe gem. § 43 SGB VI gewährt wurde.
Arbeitsmarkt nicht verschlossen
Bei der Klägerin war ab Januar 13 ein Impingementsyndrom an der linken Schulter mit starker Funktionsbeeinträchtigung diagnostiziert worden. Weil sie aber laut Gutachten noch köperlich leichte und gelegentlich auch mittelschwere Tätigkeiten verrichten könne, sei ihr der Arbeitsmarkt nicht verschlossen und sie müsse sich auf Tätigkeiten, wie die einer Warenaufmacherin oder Versandfertigmacherin, also einer Verpackerin, verweisen lassen, meinte noch die Vorinstanz.
Tätigkeit in Logistikbranche gesundheitlich unzumutbar
Eine gewisse Weltfremdheit unterstellten die LSG-Richter dem SG Cottbus nun. In der Tat gäbe es als Folge von Automatisierung und Digitalisierung – auch in Zeiten von Amazon, Ebay und anderen – die klassischen „einfachen“ Verpackerjobs kaum mehr. Nach Ansicht des Senats seien zudem die letzten verbliebenen Jobs mit Anforderungen an die Beschäftigten verbunden, wie das zeitweise Arbeiten in Zwangshaltungen, in nur teilweise klimatisierten Lagerhallen mit vorwiegend künstlicher Beleuchtung unter Einwirkung von Staub, Lärm und Abgasen mit Absturz- und Unfallgefahr sowie unter Zeitdruck wegen Lieferterminen sowie in Wechselschicht. Einem Arbeitnehmer mit Einschränkungen sei dies u.U. nicht mehr zuzumuten.
Konkrete Bennung einer Stelle war unmöglich
Summieren sich nun möglicherweise ungewöhnliche Leistungseinschränkungen hat bei der Prüfung, ob eine Verweisungstätigkeit vorliegt, eine zweistufige Prüfung zu erfolgen: Zunächst ist das restliche Leistungsvermögen der Versicherten im Hinblick auf körperliche Verrichtungen, wie Zureichen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von Teilen etc. zu prüfen. Wenn an der Fähigheit hier Zweifel verbleiben, dann muss geprüft werden, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt und dann konkret (!) ein Job gefunden werden, in dem der/die Versicherte bestehen kann. Dies konnte bei der Klägerin nun nicht festgestellt werden, da sie wegen ihres reduzierten Reaktionsvermögens auch nicht in der Endkontrolle eingesetzt werden konnte und eine Pförtnertätigkeit wegen ihrer Lese-Schreib-Schwäche nicht in Betracht komme.
Dauerrente statt Zeitrente
Das die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt unumkehrbar sind, machen die Richter auch klar, weil sie eine Dauer- und keine Zeitrente i.S.d. § 102 SGB VI ausurteilten. Eine medizinische Besserungsaussicht bei der Klägerin sei zudem nicht erkennbar.
Tipp vom Anwalt: Wird Ihr Antrag auf EU-Rente abgelehnt, weil sie noch sechs Stunden tätig sein könnten in einem Verweisungsberuf lassen Sie prüfen, ob bei Ihnen ggf. ungewöhnliche Leistungseinschränkungen vorliegen und lassen Sie ggf. Widerspruch einlegen.
Kurze rechtliche Fragen werden unter 0931/47085337 beantwortet.
Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar und es wird nicht auf Vollständigkeit und Richtigkeit gehaftet. Er dient ausschließlich der Präsentation der Kanzlei von Rechtsanwalt Christopher Richter, LL.M.Eur. Bei Rückfragen oder einem sozialrechtlichen Problem schreiben Sie mir an richter(at)anwaltskanzlie-wue.de