Rückgängigmachung der vorweggenommenen Erbfolge bei Ärger zwischen Schenker und Verpflichteten aus einer Pflegevereinbarung

Pflegeverfügungen sind im Reigen der Vorsorgeregelungen ein wichtiger Baustein, der zunehmend an Bedeutung gewinnt. Im Rahmen von vorweggenommenen Erbfolgen werden immer wieder Pflegevereinbarungen als Gegenleistung für eine Grundstücksübergabe vereinbart. Der BGH hatte kürzlich über eine Rückabwicklung einer derartigen Vermögensübertragung zu Lebzeiten zu entscheiden.


Der BGH hat für Verpflichtete aus einer Pflegeverfügung insoweit die Daumenschrauben angezogen, dass diese tunlichst darauf zu achten haben sich mit der Berechtigten aus der Pflegeverfügung nicht zu zerstreiten – zumindest wenn sie das im Zusammenhang mit dieser Regelung übergebene Hausgrundstück behalten wollen (BGH vom 09.07.2021, Az.: V ZR 30/20).

Der BGH hat entschieden, dass der Berechtige aus der Pflegeverfügung gem. § 313 III BGB grundsätzlich das Haus zurückfordern kann, wenn eine Zahlung in Geld etwa als Rentenzahlung /v.a. Leibrente durch Reallast) oder als Kapitalbetrag, sozusagen als nachträglicher Kaufpreis für das Hausgrundstück, ausscheidet. Eine Hintertür haben die Karlsruher Richter aber offen gelassen für den Bedachten, nämlich wenn der Übergebende die alleinige Verantwortung dafür trägt, dass das Verhältnis zerrüttet ist. Dies wird der Empfänger aber freilich kaum beweisen können, wenn dies der Fall ist und entspricht auch nicht der Lebenserfahrung, weil an einem Zerwürfnis selten eine Seite ganz alleine schuld ist.

Tipp vom Anwalt: Regeln Sie daher im Übergabevertrag auch die Frage mit, welches Schicksal das übergebene Hausgrundstück haben soll, wenn es unter den Beteiligten einer Pflegevereinbarung zum Streit kommt.

Reservierungsgebühr für Pflegeheimplatz unwirksam

Immer wieder verlangen Pflegeheime eine Reservierungsgebühr um einen Platz bei sich für den Pflegebedürftigen freizuhalten. Dies wird nach dieser BGH-Entscheidung in vielen Fällen unwirksam sein. Ggf. können diese gezahlten Gelder noch für die Vergangenheit zurückgeholt werden.

(Sachverhalt vereinfacht) Die pflegebedürftige Klägerin, die von einer privaten Pflegeversicherung Pflegeleistungen bezog, schloss mit der beklagten Betreiberin eines Pflegeheims im Raum Köln einen Pflegevertrag, zog aber erst ca. einen halben Monat später ins Seniorenzentrum ein. Für diesen halben Monat ließ sich das Pflegeheim über 1.000 € als Leistungsentgelt zahlen für eine als Platzgebühr bezeichnete Reservierung dieses Heimplatzes.

Verstoß gegen höherrangiges Recht

Zu Unrecht, wie jetzt der BGH (Urteil vom 15.07.2021, Az.: III ZR 225/20) entschied und die Beklagte zur Herausgabe nach § 812 I 1 (1.Alt) BGB verurteilte. Dem Zahlungsverlangen habe nämlich der Rechtsgrund gefehlt, weil die entsprechende Regelung im Pflegevertrag gegen höherrangiges Recht, nämlich § 15 I 2 WBVG i.V.m. § 87a I 4 SGB XI verstoßen würde.

Sozialgesetzbuch (SGB) – Elftes Buch (XI) – Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014)
§ 87a Berechnung und Zahlung des Heimentgelts
:

(…) Die Pflegesätze, die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie die gesondert berechenbaren Investitionskosten (Gesamtheimentgelt) werden für den Tag der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts berechnet (Berechnungstag).(…) Von den Sätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarungen zwischen dem Pflegeheim und dem Heimbewohner oder dessen Kostenträger sind nichtig

Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz – WBVG)
§ 15 Besondere Bestimmungen bei Bezug von Sozialleistungen

(…) Vereinbarungen, die diesen Regelungen nicht entsprechen, sind unwirksam.

Eingeschränkte Vertragsfreiheit im Bereich des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes

Wegen dem Vorrangs des Sozialrechts gilt dieses vorrangig vor der Vertragsfreiheit im Rahmen insbesondere von Pflegeverträgen. Zum Sozialrecht zählt auch das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes, das ein besonderes Verbraucherschutzgesetz darstellt. Da die Klägerin als Mitglied einer privaten Krankenversicherung Leistungen nach den Regeln der sozialen Pflegeversicherung bezieht (vgl. u.a. § 110 SGB XI), gilt diese Einschränkung der Vertragsfreiheit auch ihr gegenüber, so die BGH-Richter in ihrer Begründung. Denn auch diese fallen in den Anwendungsbereich des § 15 WBVG.

Besonderer Verbraucherschutz für weitere Personengruppen

Tipp vom Anwalt: Auch gegenüber anderen Pflegeversicherungspflichtigen, wie Heilfürsorgeberechtigten, die nicht in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig sind, beihilfeberechtigten Personen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Mitgliedern der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten, ist die Vertragsfreiheit im Bereich der Pflegeverträge – anders als bei reinen Selbstzahlern – eingeschränkt! Auch diese müssen keine solche Reservierungsgebühr zahlen.

Verstoß gegen Prinzip tagesgleicher Vergütung

Konkret verstoßen derartige Reservierungsgebühren gegen das Prinzip der tagesgleichen Vergütung in § 87a I SGB XI, d.h. es darf grds. nur das als Leistung abgerechnet werden, was tatsächlich auch erbracht wird. Desweiteren käme es wegen den in Pflegeverträgen verbreiteten Regelungen zu Wagnis- und Risikozuschlägen bei Leerständen häufig zu Doppelbelastungen der Heimbewohnern, wenn solche Reservierungsgebühren zulässig wären.

Hier geht es zu unserem Ressort Seniorenrecht

Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar, sondern nur eine allgemeine Information über ein aktuelles BGH-Urteil. Lassen Sie sich daher in jedem Fall individuell beraten. Eine rechtliche Frage wird kostenfrei beantwortet (Tel. 09721/7934890).

VG Würzburg kippt generelle Maskenpflicht für Indoorspielplatz Atlantis

Landratsamt Schweinfurt wollte Maskenpflicht für alle Kinder über 6 Jahren

Paukenschlag vom VG Würzburg: Das Verwaltungsgericht Würzburg hat die Maskenpflicht für alle unter 15-jährigen Besucher im Spielbereich des Indoor-Spielplatzes des Atlantis in Hambach gekippt. Vorausgegangen sind dieser vorläufigen Entscheidung im Eilverfahren zwei Polizeieinsätze, wobei die Beamten die Einhaltung dieser nach Auffassung des Landratsamt Schweinfurts in der bayerischen Infektionsverordnung geregelten Maskenpflicht noch vor Ort kontrolliert hatten, ohne aber Verstöße festzustellen.

vorläufige Entscheidung zugunsten spielender Kinder

„Mir fällt ein Stein vom Herzen“, freute sich Atlantis-Geschäftsführer Sascha Jucknieß über die Entscheidung, da die verschärfte Praxis des Landratsamts Schweinfurt bereits zu zahlreichen Stornierungen geführt habe. Die Kontrolle der Maskenpflicht, insbesondere im Bereich der Trampoline und der Klettertürme, sei für das Personal auch sehr anstrengend gewesen und sei bei den jungen Besuchern nicht gut angekommen. Eine strenge Maskenpflicht bereits ab sieben Jahren, wie sie das Landratsamt gefordert habe, ist nun erstmal vom Tisch. Für den Freistaat, der diesem Antrag entgegengetreten war, war das eine deutliche Niederlage.

Strenge Maskenpflicht gekippt im Eilverfahren

Die Maskenpflicht für Besucher von Indoor-Spielplätzen ergebe sich, so die Richter der 8. Kammer des VG Würzburg, nicht mit hinreichender Bestimmtheit aus der Verordnung. Die dort angeordnete Maskenpflicht für Fahrgäste (§ 13) sei nicht auf die Besucher von Indoorspielplätzen zu übertragen. Bei Letzteren handele es sich zwar auch um geschlossene Räume, aber gerade nicht beengten, so dass auch der Weg der  entsprechenden Anwendung der Norm verschlossen sei. Interessant war bei der Entscheidung auch, dass die Richter klarstellten, dass die diversen Rahmenkonzepte des Staatsministeriums etwa für den Bereich Tourismus nicht mittel Bußgeld bei Verletzung durchgesetzt werden dürften.

Entscheidung gilt nur inter partes

„Dieses Entscheidung gilt nur zwischen den Klageparteien“, erklärt der prozessführende Rechtsanwalt Christopher Richter, LL.M.Eur. von der Kanzlei Niggl, Lamprecht & Kollegen. Aus der Begründung folge aber, dass die Verwaltungsrichter bei anderen betroffenen Indoorspielplätzen sogar noch weitgehender entscheiden würden. Man habe aber –  da man nicht generell gegen die Maskenpflicht sei –  den Antrag aber bewusst auf die Altersklasse der 7 bis 14-Jährigen und ausschließlich auf die Spielflächen beschränkt, weil die Kinder dadurch in ihrem natürlichen Spieltrieb behindert wurden. In den sanitären Anlagen und dem Gastrobereich sollen die über Sechsjährigen also weiter eine Maske tragen. Aus einer Befragung bei anderen Indoor-Spielplätzen wisse man zudem, dass andere Landratsämter sich gerade nicht der rigorosen Praxis des Schweinfurter Landratsamtes angeschlossen haben. Diese verschiedene Handhabung habe zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen für Indoor-Spielplätze im Freistaat geführt.

Die Verwaltungsrichter haben der Klägerseite aufgegeben binnen Monatsfrist Hauptsacheklage zu erheben. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (VG Würzburg vom 03.08.2021, Az.: W 8 E 21.1005).

Die große „Corona-Lüge“

Nein, in diesem Beitrag wird nicht die Existenz des Virus in Frage gestellt; es geht auch nicht um das Ausmaß der Gefahr, die von dieser schrecklichen Infizierung ausgeht. Es soll hier ausschließlich darum gehen, welcher große Kluft besteht zwischen den vollmundigen Worten von Seiten der Politik zu helfen, der Verwaltungspraxis der Jobcenter vor Ort gegenüber ihren neuen völlig unverschuldeten Hilfesuchenden und den ersten Erkenntnissen aus aktuellen Gerichtsprozessen in meiner Praxis als Hartz IV-Anwalt. Vorweggenommen: Es ist erschütternd, ja verheerend!

„Bazooka“ rausgeholt?

Der Bundesfinanzminister wollte gar die „Bazooka“ rausholen und alle Politiker unbürokratisch den Selbständigen helfen, die durch den Lockdown unverschuldet in Not geraten sind. In Bayern sollte mit der Kombination aus staatlichen Überbrückungshilfen[1] und einem erleichterten Zugang zum Hartz IV[2] den Unternehmen durch Übernahme von Fixkosten zum einen geholfen werden zu überleben und zum zweiten zugleich der Lebensunterhalt Selbständiger gesichert werden, dass diese nicht ihre Altersvorsorge antasten müssen. Dazu sollten Vermögen bis 60.000 € nicht mehr überprüft werden. Soweit so gut. Gut gemacht Bundesregierung, möchte man sagen.

Nur eine Erleichterung für die Jobcenter?

Nun gibt es einzelne Jobcenter, die den von der Bundesagentur zur Verfügung gestellten verkürzten Antrag gar nicht benutzen. Zurecht, wie ein Hinweis einer am Sozialgericht tätigen Richterin (Az. S 16 AS 310/20): durchblicken lässt, denn dieser Antrag soll also „nur eine Erleichterung für die Jobcenter“ darstellen, nicht für die neuen Hilfebedürftigen. Da stockt dem Hartz IV-Anwalt der Atem, denn bisher ging die Öffentlichkeit davon aus, dass die neue Schicht der Hilfebedürftigen, die erst durch die Zwangsmaßnahmen der Regierung in ihrer Existenz gefährdet wurde, besonders privilegiert sein sollte. Im Gegenteil. „Hartz IV soll nur denen helfen, die sich selbst nicht helfen können. Der Rest muss erstmal selbst schauen, wie er zurechtkommt“, betonte die Richterin.

Neuer Freibetrag für Solo-Selbständige angekündigt

Und wie ist es mit dem Schutz des Vermögens der Selbständigen? Ist nun Vermögen, dass auf den ersten Blick nicht eindeutig der Altersvorsorge dient, auch geschützt? Nein, betonte die Richterin weiter. Wenn sich das Jobcenter entschließt in die Vermögensprüfung einzutreten, dann beträgt der geschützte Bereich nicht 60.000 €, sondern weniger, möglicherweise sogar nur etwa rund 10.000 € für einen Alleinstehenden Mitte der 40er. Auch ist verblüffend, dass die von Seiten der Politik mehrfach kommunizierte zusätzliche Freibetrag von 8.000 €/Jahr der Selbständigkeit[3] für das Gericht keine Rolle spielte. Das Gericht interessierte konsequenterweise nicht, was die Politiker von Heil über Altmaier bis zu Scholz gesagt haben, denn in Deutschland, wo eine Gewaltenteilung besteht, muss grundsätzlich erstmal alles durch das Parlament beschlossen werden. Die Medien, die über die großen Ankündigungen aus der Politik berichtet haben, muss man vorhalten im Nachgang nicht nachgeprüft zu haben, ob das umgesetzt wurde oder nur heiße Luft geblieben ist. Insoweit müssen sich Teile der Medien eine Hofberichterstattung vorwerfen lassen und die Politiker, dass sie bei den Menschen falsche Vorstellungen (bis zum heutigen Tage) geweckt haben.

Erleichterter Zugang nicht vor den Sozialgerichten

Dass Hilfebedürftige weder von den Jobcentern eine erleichterte Behandlung bekommen noch vom Sozialgericht im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens erlebte auch ein Soloselbständiger aus dem Raum Herford vor dem SG Detmold (S 9 AS 11/21 ER). Dort ließ sich das Gericht – auch für seine Frau und die Kinder – genau Rechnung legen. Die angeblich erleichterte Prüfung für die neuen Hilfebedürftigen aufgrund der Corona bedingten Wirtschaftskrise wurde nämlich nicht auf die Sozialgerichte erstreckt.

Kluft zwischen Ankündigungen und der Realität

So gibt es eine Menge falsche Vorstellungen, nicht umgesetzte Versprechungen und Lücken im Bereich der Corona-Sozialgesetzgebung. Für die Kluft zwischen politischen Versprechungen und der Realität sei dieses Zitat des Bundesministers für Arbeit und Soziales angeführt: „Die Leistungen der Grundsicherung werden schnell und unbürokratisch gewährt. Das hilft erst einmal, um nicht ins bodenlose zu stürzen. Wir lassen die Menschen nicht allein, der Staat kümmert sich!“[4]

Der Betrag enthält subjektive Auffassungen des Autors. Er stellt keine Rechtsberatung dar, sondern eine allgemeine Information. Wenn Sie Infos zu Hartz IV benötigen, empfehlen wir Ihnen die Seite https://www.anwaltskanzlei-wue.de/rechtsgebiete/hartz-iv/


[1] https://gruenden-schweinfurt.de/uncategorized/soforthilfen-ein-vergiftetes-geschenk/

[2] https://www.bmas.de/DE/Schwerpunkte/Informationen-Corona/Fragen-und-Antworten/Fragen-und-Anworten-zugang-sgb2/faq-zugang-sgb2.html

[3] https://taz.de/Hartz-IV-in-Coronazeiten/!5723965/#:~:text=Alleinstehende%20d%C3%BCrfen%20bis%20zu%2060.000,nochmal%208.000%20Euro%20Verm%C3%B6gensfreibetrag%20draufschlagen oder https://www.veronika-bellmann.de/grundsicherungsleistungen-fuer-solo-selbststaendige

[4] https://www.focus.de/finanzen/news/wegen-corona-krise-bundesregierung-will-bei-hartz-iv-vermoegenspruefung-aussetzen_id_11798424.html

Sozialversicherung für Existenzgründer

Man gründet, man hat den Kopf voller Ideen, Tatkraft und dann… dann soll man an die Sozialversicherung denken? An die Rentenversicherung, wo man die besten Jahre doch vor sich hat? An die Krankenversicherung, wo man vor Energie gerade doch nur so strotz? An die Arbeitslosenversicherung, wo der To-Do-Listenzettel jeden Tag prall gefüllt ist? Bitte? Von so einem Thema will ich als Gründer doch nichts wissen: Das ist langweilig, bürokratisch und ich hab wirklich was Besseres zu tun!

In diesem Beitrag will ich für Gründer darstellen, warum es sich sehr wohl lohnt mit diesem Thema zu beschäftigen und warum Wissenslücken hier den Erfolg des eigenen Startups gefährden können und wie die hohe Sozialabgabenlast etwas gedrückt werden kann.

  1. Liquidität

In Deutschland besteht eine Krankenversicherungspflicht für Jedermann, auch für Selbständige. Wer aus einem Angestelltenverhältnis heraus ins freie Unternehmertum wechselt, der steht nicht nur vor der Frage, ob er sich privat oder gesetzlich krankenversichert, sondern sieht sich nun teils hohen Beitragsforderungen seiner Krankenkasse ausgesetzt.

Die Wahl, ob man sich privat oder gesetzlich krankenversichert kann auch Auswirkungen haben auf den krankenversicherungsrechtlichen Status von Angehörigen. Wechselt der Gründer etwa in die private Krankenversicherung, der Partner bleibt aber in der gesetzlichen Krankenversicherung werden Kinder in der Regel* dem Partner zugeordnet, der mehr verdient! Wird die Selbstständigkeit nur nebenberuflich ausgeübt, kann der Gründer in einer Familienversicherung der GKV bleiben, wenn er damit nur 455 €** monatlich verdient und maximal 18 Stunden/Woche für sein Startup arbeitet. Überschreitet der Gründer diese Grenze muss er sich doch wieder selber versichern. Die Versicherungspflicht beginnt mit dem Ergehens des relevanten Einkommenssteuerbescheids, der diese Grenzüberschreitung dokumentiert.

Bei Selbständigen gehen die Krankenkassen nur manchmal von einem Mindesteinkommen von 1.061,67 € aus. Der aktuelle Beitragssatz liegt ohne Ermäßigung bei 14,6 %. Für nebenberuflich Selbständige gibt es unter Umständen reduzierte Sätze. Die Beitragsbemessungshöchstgrenze liegt bei 4.687,50 €, was einen Krankenkassenbeitrag von maximal 684,30 € ergeben kann. Gerade Gründer, die aus einem gutbezahlten Angestelltenverhältnis raus in die Selbstständigkeit wechseln, sehen sich u.U. hohen Krankenversicherungsbeiträgen ausgesetzt. Diese Beiträge sind zwar nur vorläufig festgesetzt, sie müssen aber erstmal gezahlt werden. Es empfiehlt sich daher einen Antrag auf Beitragsentlastung zu stellen, wobei man die zu erwartenden Einkünfte erstmal schätzen kann. Wer zu niedrig schätzt, wird sich aber später einer Beitragsnachforderung ausgesetzt sehen.

Bei den privaten Krankenversicherern sind die Tarife oft nicht einkommensabhängig und manchmal niedriger. Der Nachteil ist, dass der Wechsel zurück in die gesetzliche Krankenversicherung oft schwierig ist, insbesondere weil private Krankenversicherungstarife häufig mit zunehmendem Alter steigen. Zudem ist es viel schwieriger seine Rechte im Streitfall gegen den Versicherer vor Gericht durchzusetzen, da den privaten Krankenversicherungen häufig lange Vertragswerke zugrunde liegen über die sich vielfach und lange streiten lässt.

  • Compliance

Compliance, also die Kontrolle der Einhaltung von Regeln, ist eines meiner Lieblingsthemen. Für Selbständige gibt es zwar eine gelockerte Sozialversicherungspflicht, d.h. viele Selbständige sind z.B.  nicht rentenversicherungspflichtig, es gibt aber zahlreiche berufsgruppen- und berufsgruppenunabhänigige Ausnahmen. Wer also seine Rentenversicherungsbeiträge nicht oder nicht rechtzeitig abführt, der riskiert nicht nur hohe Nachzahlungen mit Säumniszuschlägen, sondern ggf. ein Bußgeld bis 2.500 € und im schlimmsten Fall eine Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten. Schuldner kann der Selbständige sein oder auch der „Arbeitgeber“ im Falle von Scheinselbständigkeit.

Bestimmte Gründer müssen also spätestens drei Monate nach Aufnahme ihrer selbständigen Tätigkeit sich bei ihrem zuständigen Rentenversicherer mit allen relevanten Unterlagen melden. Wer das versäumt, dem droht nach § 320 SGB VI ein Bußgeld bis zu 2.500 €. Zudem kann die Rentenversicherung beim Gründer eine Betriebsprüfung durchführen und das Startup damit regelrecht lahmlegen. Diese Meldepflicht gibt es auch dann, wenn man als Angestellter durch seine nebenberufliche Selbständigkeit nun mehr verdient als im Hauptberuf oder hier mehr seiner Zeit verbringt.

  1. Berufsgruppenabhängige Versicherungspflicht

Bestimmte Selbstständige sind kraft Berufes Pflichtmitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung, wie Künstler, Publizisten oder Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind. Zu Letzteren zählen Gründer, die einen zulassungspflichtigem Handwerksberuf nachgehen, also etwa Informationstechniker Karosserie- und Fahrzeugbauer, KfZ-Mechaniker, Elektrotechniker, Bäcker, Konditoren, Fleischer, Friseure, Raumausstatter oder Rolladen- und Sonnenschutztechniker. Geht man dieser Tätigkeit aber als Gesellschafter über eine in die Handwerksrolle eingetragene Kapitalgesellschaft, wie etwa einer GmbH oder einer KGaA nach, besteht hingegen nicht automatisch die Versicherungspflicht. Diese kann aber aus anderen Gründen entstehen, etwa wenn der alleinige Geschäftsführer nicht der Mehrheitsgesellschafter ist.

Auch wer sich als Lehrer selbständig macht, der ist in der Rentenversicherung Pflichtmitglied, wobei der Lehrerbegriff weit ausgelegt wird, so dass auch Golftrainer, viele Moderatoren, Trainer oder Supervisoren darunterfallen können.

Wer seine Leistungen im Bereich Kranken- oder Kinderpflege anbietet, der ist ebenfalls rentenversicherungspflichtig, wenn er überwiegend nach ärztlicher Anordnung handelt, also etwa Logopäden, Podologen oder Physiotherapeuten. Nicht darunter fallen Heilpraktiker oder Psychotherapeuten. Wer aus diesem Bereich aber eine Hilfskraft über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus versichert, der fällt aus der Versicherungspflicht heraus.

Auch selbständige Hebammen und Entbindungspfleger sind per Gesetz rentenversicherungspflichtig.

Stellt der Rentenversicherungsträger die Sozialversicherungspflicht fest, sind vom Selbständigen rückwirkend die Beiträge nachzuentrichten, samt den Säumniszuschlägen.

  • Berufsgruppenunabhängige Versicherungspflicht

Hier spricht man häufig auch von „Scheinselbständigkeit“. In neuerer Zeit hat eine Entscheidung des Bundessozialgerichts für Aufregung gesorgt, dass auch selbständige Altenpfleger mit nur einem Auftraggeber unter die Versicherungspflicht fallen. Über die Frage, ob jemand überhaupt selbständig ist kann man trefflich streiten. Hier stellen sich dann Fragen, ob man ein unternehmerisches Risiko trägt, in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden ist oder von nur einem Auftraggeber extrem wirtschaftlich abhängig. Influencer, die die Software ihres exklusiven Partners nutzen, könnten darunter fallen; privilegiert dagegen sind Angehörige freier Berufe, wie Psychologen, Ärzte, Architekten oder Rechtsanwälte.

Stellt der Rentenversicherungsträger die Beitragspflicht als Angestellter dann fest, wird er den kompletten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil vom „Arbeitgeber“ verlangen. Bei einer Vielzahl von Scheinselbständigen, oftmals bei eingesetzten Honorarkräften z.B. an Privatschulen, wird häufig ein Summenbeschied ergehen, mit einer kalkulierten Pauschalsumme. Dieses Geld kommt aber nicht dem Scheinselbständigen zugute, sondern landet im allgemeinen Rententopf.

Wer mehrere rentenversicherungspflichtige Tätigkeiten ausübt, bei dem kann eine Mehrfachversicherung entstehen.

In den ersten drei Jahren nach der Gründung kann man sich auf die Sozialklausel der Rentenversicherung berufen und muss dann nur den halben Regelbeitrag von aktuell 296,21 € (2020) zahlen.  Das darf man auch bei einer zweiten Gründung nochmal, wenn die Erste danebengeht. Die monatlichen Beiträge sind spätestens bis zum drittletzten Bankarbeitstag des relevanten Monats zu zahlen.

  • Soziale Absicherung

– Sich freiwillig bei der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern kann Sinn machen, weil man dann nach fünf Beitragsjahren u.U. einen Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente hat oder die Angehörigen nach dem eigenen Tod Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente. Wer später im Alter auf die Grundsicherung angewiesen ist, der profitiert seit 2018 auch mehr von der freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung, weil Einkommen daraus weniger stark angerechnet wird. Diesen Antrag auf freiwillige Versicherung muss man allerdings bis spätestens fünf Jahre nach Beginn der selbständigen Tätigkeit stellen; wenn man den vollen Erwerbsminderungsschutz haben will, sogar nach nur zwei Jahren. Klar gibt es auch private Konkurrenzangebote zu den staatlichen Versicherungsprodukten, die haben aber auch ihre Nachteile.

– Innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Gründung können Sie auch einen Antrag auf eine freiwillige Arbeitslosenversicherung stellen, wenn sie innerhalb der letzten 2 ½ Jahre mindestens zwölf Beitragsmonate bei der DRV hatten.

– Der Abschluss der gesetzlichen Unfallversicherung sollte unbedingt geprüft werden, wenn Sie einen Beruf ausüben, der mit der Gefahr verbunden ist, einen Unfall zu erleiden. Einige Gründer sind übrigens bereits kraft Gesetzes oder durch die Satzung der Berufsgenossenschaft***, der sie angehören, in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert, wie etwa manche Existenzgründer im Gesundheitsbereich, z.B. Logopäden oder Physiotherapeuten als Unternehmer in Heil- und Pflegeberufen, aber auch Friseure und Landwirte. Eine freiwillige Versicherung ist auch hier möglich.

Weil Unfälle im privaten Bereich hier ausgeklammert sind, ist der Abschluss einer zusätzlichen Unfallversicherung für die Freizeit, ob privat oder als Zusatzangebot der gesetzlichen Unfallversicherungsträger, durchaus sinnvoll. Sich rein privat Unfall zu versichern ist möglich, aber man muss aufpassen das Klauseln* im Vertragswerk stehen können, die einem den Versicherungsschutz im Ernstfall nehmen.

Dieser Beitrag ersetzt keine Beratung im Einzelfall und dient nur Ihrer groben Information. Für Richtigkeit und Vollständigkeit der Ausführungen wird daher nicht gehaftet.

Mehr Infos hier: www.kanzlei-sozialrecht.bayern oder https://www.anwaltskanzlei-wue.de/rechtsgebiete/sozialrecht/

* Ausnahme der der mehr verdient liegt damit unter der Jahresentgeltgrenze von 62.550 € (2020)

** bei Künstlern und Publizisten  liegt die Grenze nur bei 325 €

*** Gemeint sind Klauseln, wie die Alkoholklausel, die bei jedem Alkoholkonsum zur Leistungsablehnung führt, die Eigenbewewegungsklausel, die Unfälle aufgrund falscher eigener Bewegungsabläufe ausschließt oder bestimmte Altersbeschränkungen

**** Etwa nach § 43 der Satzung der Berufsgenossenschaft für Nahrungsmittel und Gastgewebe ist die gesetzliche Unfallversicherung für einige Unternehmer, insbesondere aus dem Bereich Fleischbe- und -verarbeitende Betriebe verpflichtend

Bei vorläufigen Bescheiden Durchschnittseinkommen bilden

Tipp vom Anwalt: Achten Sie darauf, ob in Ihrem Bescheid das Wort vorläufig auftaucht, wenn Sie neben der “Hartz IV” noch schwankendes Einkommen haben. Dann ist nämlich zwingende ein Durchschnittseinkommen zu bilden.

Hartz IV-Aufstocker, also in der Regel Langzeitarbeitslose, die es gut meinen, haben mit viel Bürokratie seitens der Jobcenter zu kämpfen. Jobcenter bewilligen ihnen gewöhnlich für ein halbes Jahr ihre Leistungen vorläufig und setzen nach Einreichung der Unterlagen oder manchmal nach Ablauf des Bewilligungszeitraums endgültig fest. Aber auch andere Hartz IV-Empfänger mit einem regelmäßigen kleinen, aber schwankenden Zusatzeinkommen werden ihre Leistungen nur vorläufig erhalten. Manchmal erwachsen diese vorläufigen Bescheide mit Zeitablauf auch einfach in Bestandkraft. Soweit so kompliziert…

Anrechnung von Betriebskostenguthaben hier nur nach den Regeln des Durchschnittseinkommens

Die Überschneidung von Mietrecht und Hartz IV enthält auch viele Tücken. In der Regel sind die Guthaben aus Betriebskostenzahlungen – ähnlich wie  der Lohn – nicht im Abrechnungsmonat, sondern später anzurechnen. Während der Lohn mit dem Zufluss auf das Hartz IV angerechnet wird, ist dies bei Betriebskostenguthaben wegen einer Spezialregel aus § 22 III SGB II erst im Monat nach dem Zufluss, dann aber vollständig. Soweit  so verworren…

Guthaben aus Betriebskostenzahlung ist mit Zufluss Einkommen

Wenn nun aber ein Hartz IV-Aufstocker (somit Jemand der die Leistung nur vorläufig erhält), ein Betriebskostenguthaben von seinem Vermieter überwiesen bekommt, dann ist dieser Zufluss nicht voll im Monat des Zuflusses anzurechnen, sondern muss über die Monate (in der Regel 6) verteilt werden, urteilte das SG Hannover am 11.06.2020 (Az.: S 43 AS 3130/19). Die Argumentation des Jobcenters, dass das Guthaben nicht als Einkommen, sondern als eine Bedarfsabsenkung beurteilte, verwarf der Richter ins Reich der Phantasie.  Beim Durchschnittseinkommen soll nach dem Willen des Gesetzgebers ja gerade nicht mehr nach Einkommensarten differenziert werden. Die generell Hartz-IV-Empfänger freundliche Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig, Berufung und Revision wurden zugelassen.

Auf die abschließende Festsetzung folgt oft der Erstattungsbescheid

Tipp vom Anwalt: Häufig wird der Erstattungsbescheid, der nach der abschließenden Festsetzung wegen der höheren Anrechnung ergeht, nach der Ansicht mehrerer Gerichte nicht Teil des Klageverfahrens gegen den vorläufigen und abschließenden Bescheid. Vergessen Sie daher nicht diesen und auch den abschließenden Bescheid anzufechten.

Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar, sondern stellt ein noch nichts rechtskräftiges SG-Urteil vor. Lassen Sie sich daher in jedem Fall rechtlich in Ihrem Einzelfall beraten.

Pflegeverfügung ergänzt Patientenverfügung

Der Gedanke mal dauerhaft auf Pflege angewiesen zu sein ist für viele Menschen eine unangenehme Vorstellung. Eine Pflegeverfügung regelt früh, wie Sie Ihren Alltag regeln möchten, wenn Sie eines Tages pflegebedürftig sein sollten. Da ist eine gute Sache, denn es kann aus Unwissenheit oder anderen Gründen leicht passieren, dass das, was für Ihr Wohlbefinden und Ihre Geborgenheit notwendig ist, im pflegerischen Alltag nicht umgesetzt wird.

Ausdruck der Selbstbestimmung

Eine Pflegeverfügung ist zwar kein rechtlich bindendes Vorsorgedokument, sie wird in der Regel jedoch als Ausdruck der Selbstbestimmung von Gerichten respektiert und wird von gerichtlich bestellten Betreuern auch beachtet. Sie ist eine wichtige Ergänzung zur Patientenverfügung. Das Dokument dient somit ebenso als wichtige Orientierungshilfe für manchmal in der Krise überforderte Angehörige, wie auch für Heimleitungen und Pflegedienste. Nach aktueller Gesetzeslage sind Pflegedienste und Heime nämlich verpflichtet bei der Pflege individuelle Besonderheiten stärker zu beachten (vgl. §§ 113 ff SGB XI).

Die eigene Pflegesituation regeln

Sie können darin etwa für die Art und Weise der Pflege konkrete Wünsche äußern etwa den gewünschten Ort der Pflege, deren Umfang (etwa Überwachung durch technische Hilfsmittel, wie Kameras und  Mikrofone oder freiheitsentziehende Maßnahmen, wie Bettgitter oder Sitzgurte) und die ausführenden Personen benennen.  Essensvorlieben im positiven, wie im negativen Sinne, Körperpflege- und Kleidungsgewohnheiten, die Gestaltung eines Zimmers, die Benennung bestimmter liebgewonnener Rituale, vom Stück Kuchen am Nachmittag bis hin zur der Lieblingssendung im Fernsehen, können hier festgehalten werden. Auch Hobbies, Ruhe- und Schlafgewohnheiten, religiöse Vorstellungen oder wichtige Informationskanäle können hier benannt werden. Was zunächst etwas banal klingen mag, leistet im Ernstfall einen erheblichen Beitrag zum Wohlbefinden des Vorsorgenden im Alter. Neben bestimmten Wünschen können dort sogar die Charakterzüge der zu pflegenden Personen festgelegt werden. Insgesamt gibt das Dokument dem zuständigen Pfleger einen umfassenden Überblick wie die Pflege gestaltet werden soll.

Tipp vom Anwalt: Es kann Vieles geregelt werden. Wenden Sie sich an einen für Vorsorge versierten Anwalt und lassen Sie sich beraten.

Pflegesituation im Heim oder zuhause

Wie genau eine Pflegeverfügung verfasst sein muss, ist nicht gesetzlich festgelegt. Sie ist aber ein wichtiger ergänzender Baustein zur Patientenverfügung. Mit ihr kann man sich vorab in Ruhe auf eine spätere Pflegesituation vorbereiten. In der Pflegeverfügung kann auch der Wunsch geäußert werden, solange wie möglich im angetrauten Zuhause zu bleiben und möglicherweise auch dort gepflegt zu werden, etwa bis es für die Angehörigen und Pflegedienste unzumutbar schwierig wird. Letzteres kann auch an eine festes Ereignis geknüpft werden, wie den Auftritt eines Schlaganfalls oder einer Demenzerkrankung im fortgeschrittenen Stadium. Genauso kann geäußert werden, welches Pflegeheim Sie bevorzugen und welches Sie ablehnen. Die Pflegeverfügung ermöglicht es, festzulegen, ob Sie im Pflegeheim ein Einzel- oder Doppelzimmer wünschen, wie stark es mit persönlichen Dingen ausgestattet sein sollte und ob gar ein Haustier mitkommen soll. Ebenso kann man festlegen, ob ein Pfleger oder eine Pflegerin die Intimpflege übernehmen soll, wie mit Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme oder Medikamenteneinnahme umgegangen werden sollt.

Streit um Wirksamkeit vermeiden

Eine offizielle Registrierung der Pflegeverfügung im Zentralen Vorsorgeregister ist nicht möglich. Die Mitunterschrift durch den eigenen Hausarzt ist zu empfehlen, um später Streit zu vermeiden, ob die Pflegeverfügung im Vollbesitz der eigenen geistigen Kräfte geschlossen wurde. Die Betreuungsverfügung sollte immer nur in Kombination mit einer Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmacht geschlossen und geändert werden.

Hartz IV für ausländischen Obdachlosen

Die damaligen Bundesministerin Andrea Nahles hatte es auf den Weg gebracht. Nach dem „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und in der Sozialhilfe nach dem SGB II“ – verkürzt oft „EU-Bürger-Ausschlussgesetz“ genannt – erhalten arbeitssuchende und wirtschaftlich nicht aktive EU-Bürger in den ersten fünf Jahren keine Sozialleistungen. Somit haben obdachlose Ausländer, die oft auch EU-Bürger sind, g keinen Anspruch auf Sozialhilfe oder das sogenannte Hartz IV. Sie müssen sich häufig entweder als Tagelöhner, Prosituierte, Flaschensammler oder durch Betteln durchschlagen. All diese Einnahmequellen sind nun durch die massiven Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie weitgehend versiegt. Experten vermuten es in Deutschland mehrere Zehntausend Menschen unter vergleichbaren Umständen und ohne Anspruch auf staatliche Fürsorgeleistungen und ohne Anspruch auf medizinische Versorgung gibt.

Das Sozialgericht Düsseldorf hat nun in einem Eilbeschluss (Az.: S 25 AS 1118/20 ER) in der Corona-Krise einem obdachlosen portugiesischen Staatsbürger, der viele Unterlagen zum Nachweis seines angeblich wohl langjährigen Aufenthalts in Deutschland verloren hatte, dennoch einen Hartz IV-Anspruch zugebilligt, weil er seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht habe. Es sei als Obdachloser ohne jegliche Einkünfte selbstverständlich auch hilfebedürftig und hier stehe das sog. EU-Bürger-Ausschlussgesetz, was im § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II seinen Niederschlag gefunden habe, dem Anspruch nicht entgegen.

In der derzeitigen Corona-Kreise stehe der dargestellte Leistungsausschluss und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf das Existenzminimum in einem besonderen Spannungsverhältnis. Es sei in der derzeitigen Extremsituation aufgrund der Pandemiesituation völlig unverständlich, wie das Jobcenter dem Kläger hier Leistungen verweigern könne, ärgerte sich der Richter. Denn ein ausländischer Obdachloser, der wegen geschlossener Grenzen in Europa derzeit nicht in sein Heimatland zurückreisen könne, um ggf. dort Sozialleistungen zu beantragen, dem muss sein Überleben in dieser Zeit vom Staat gesichert werden. Zumal es aufgrund der Einschränkungen des öffentlichen Lebens für Obdachlose mehr als schwierig sein dürfte, auf der Straße Leistungen ggf. zu erbetteln, ergänzte der Sozialrichter, der offensichtlich sein Herz am richtigen Fleck trägt und dem Eilantrag des Klägers stattgab.

Kurzarbeit in der Corona-Krise

Dieses Interview erschien auf der regionalen Internetseite SW1News.

In Teil III unser Serie über die rechtlichen Auswirkungen in der Corona-Krise geht es diesmal um die Kurzarbeit, die für über 3000 Betriebe in der Region bereits angemeldet wurde. Wir sprechen mit dem Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht Christopher Richter über die Situation für die Arbeitnehmer in Schweinfurt.

Herr Rechtsanwalt Richter, wie kann man als Facharbeit für Sozialrecht die Auswirkungen der Kurzarbeit beurteilen?

Die Kurzarbeit ist im 6. Teil des dritten Sozialgesetzbuches geregelt und gibt einen wichtigen Anspruch gegenüber der Bundesagentur als Sozialleistungsträger die vorübergehenden coronabedingten Auftrags- und Produktionsschwankunen durch eine Reduzierung der anstonsten normalen Arbeitszeit zu überbrücken. Gerade in einer Industriestadt für Schweinfurt mit ihrer starken Zulieferindustrie ist dies ein wichtiges Mittel, um Arbeitsplätze zu erhalten. Nach Medienberichten wurde übrigens die Dauer der Kurzarbeit durch Ministererlass kürzlich von 12 auf 21 Monate verlängert.

Kurzarbeitergeld bedeutet aber für die ArbeitnehmerInnen doch erhebliche finanzielle Einbußen – auch in Schweinfurt.

Richtig, Arbeitnehmer – auch Leiharbeiter – bekommen je nachdem, ob sie Kinder haben oder nicht 60% oder 67% des Unterschiedsbetrages zwischen dem Nettoeinkommen, dass sie ohne den Arbeitsausfall erzielt hätten und dem, was sie tatsächlich erhalten, wenn es eine entsprechende Regelung im Tarif-, Betriebs- oder Arbeitsvertrag gibt. Bei Schaeffler wird gerade eine entsprechende Betriebsvereinbarung verhandelt, wobei die Beschäftigten sogar vom Unternehmen einen Zuschuss erhalten, dass sie bis zum 90% des bisherigen Arbeitsentgelts erhalten. Diese ist eine Mammutaufgabe für die Gewerkschaft, denn in der Betriebsvereinbarung müssen neben Beginn und Ende der Kurzarbeit der Umfang und Lage der Reduzierung und die erfassten Arbeitnehmer und Abteilungen erfasst werden. Aber die IG-Metall ein erfahrenes Verhandlungsteam, dass dies schafft. Für andere Arbeitnehmer, die weniger Glück haben, wird der Weg zum Jobcenter als Hartz IV-Aufstocker oder zum Sozialamt (Wohngeld, Kinderzuschlag etc.) angezeigt sein.

Nach einer zum 13.03.2020 geschaffenen Sonderregel erhalten auch Zeitarbeiter Kurzarbeitergelt. Minijobber sind vom Kurzarbeitergeld dagegen weiter ausgeschlossen.

Was wenige derzeit im Kopf haben, ist, dass die Kurzarbeit Auswirkungen auf den späteren Rentenanspruch hat, weil nur das erzielte Ist-Einkommen beitragsrelevant ist. Bei Arbeitnehmern, die derzeit gar kein steuerpflichtiges Einkommen erhalten, kann sich das mittelfristig durchaus negativ auswirken und befördert Altersarmut. Ungerechtigkeiten in finanzieller Hinsicht ergeben sich zu einem bestimmten Punkt auch, wenn ArbeitnehmerInnen während oder nach der Corona-Krise in Elternzeit gehen wollen.

In Schweinfurt gibt es viele ArbeiterInnen, die einen Akkordlohn beziehen und andere bekommen bestimmte Zulagen, die zum Zeitpunkt der Beantragung von Kurzarbeit noch gar nicht feststehen? Was gilt dann?

Beim Akkordlohn wird man in der Regel die letzten drei abgerechneten Monate vor Beginn der Kurzarbeit zur Bestimmung des Nettoentgelts hernehmen. Wenn quartalsweise abgerechnet wird also die Monate Januar bis März. Komplizierter wird es bei bestimmten Zuschlägen, etwa für bestimmt Erschwernisse, die steuerpflichtig sind. Hier wird man entweder die Höhe aus dem vorangegangenen Entgeltabrechnungszeitraum hernehmen müssen oder im Nachhinein die Erstattung bei der Arbeitsagentur beantragen

Kann man durch einen Nebenverdienst diese finanziellen Einbußen auffangen?

Ich sage „jein“. Grundsätzlich werden Einkünfte aus Nebentätigkeiten, die nach Beginn der Kurzarbeit begonnen werden, schon angerechnet. Jedoch gibt es eine Sonderregelung als Ausnahme zur Einkommensberücksichtigung für Personen, die eine solche Tätigkeit in systemrelevanten Branchen du Berufen, etwa in der Landwirtschaft, aufnehmen. Auf der Praktikumsbörse des Region Schweinfurt  finden sich etwa zahlreiche

Aushilfsjobs in der Corona-Krise, vom Weinanbaubetrieb über Metzgereien oder Supermärkte (https://www.landkreis-schweinfurt.de/wirtschaft/praktikumsboerse-uebersicht/).

Alte Nebenjobs müssen übrigens nicht aufgegeben werden. Die Arbeitsverträge bestehen übrigens auch weiter, sie entfallen nicht, nur weil der Arbeitgeber sein Geschäft derzeit nicht betreiben kann.

Müssen tatsächlich 10% der Arbeitnehmer von einem Ausfall betroffen sein, damit ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld besteht und was ist mit den restlichen 90%?

Ein Unternehmen kann die Ausfälle auch durchaus planen, so dass man das so einteilen kann, dass etwa in einem 100 Mann-Betrieb nur 10 Arbeitnehmer sechs Stunden weniger im Monat arbeiten. Die, die dann etwa nur 3 Stunden weniger arbeiten haben dann trotzdem einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Man kann sogar für einzelne Monate betriebsüblich normal arbeiten und dann verlängert sich einfach der Bezugszeitraum. Insgesamt ist es recht kompliziert, aber vieles ist möglich.

Was gilt für die Arbeitnehmer, wenn all diese Maßnahmen die Betriebsschließung nicht vermeiden können?

Dann wird für viele der Weg in die Arbeitslosigkeit und zunächst zur Bundesagentur für Arbeit folgen. Die Zeit des Bezuges von Kurzarbeitergelt gilt als Bezugszeit für die Arbeitsagentur, so dass die Wartezeit erfüllt werden kann (12 Monate innerhalb der letzten 2 Jahre). Bei der Höhe des Arbeitslosengeldes haben die coronabedingt Entlassenen aber keinen Nachteil, weil bei der Bestimmung der Höhe nicht das niedrigere Entgelt betrachtet wird, sondern das was die Person ohne die Kurzarbeit verdient hätte.

Abschließend der worst-case: Was ist, wenn während der Kurzarbeit krank werde?

Sie sprechen den Fall an, dass der Arbeitnehmer nach der Kurzarbeit krank ist, für bereits Erkrankte gilt anderes. Also: In dem Fall hat der Arbeitgeber für die verkürzte Arbeitszeit eine Entgeltzahlungspflicht, es besteht aber ebenfalls ein Anspruch auf Kurzarbeitergelt.  Nach Ablauf von sechs Wochen bekommt der Arbeitnehmer dann sein Krankengeld, was aber aus seinem bisherigen regulären Arbeitsentgelt berechnet wird (in der Regel 70 % des bisherigen Bruttoentgelts). Weil das Krankengeld ein sehr mächtiger Anspruch ist, der auch die Rentenhöhe positiv beieinflusst, lohnt es sich um ihn zu kämpfen wie ein Löwe.

Wir danken für das Interview.

Mehr Infos finden sie auf den nachfolgenden Seiten: www.kanzlei-sozialrecht.bayern

Bußgelder und Corona

Neuregelungen für Vereine

Dieses Interview erschient in der regionalen Newsseite Sw1News

Rechtsanwalt Christopher Richter ist Anwalt und Bürgerrechtler, wir haben ihn zu den Ausgangsbeschränkungen und den bußgeldrechtlichen Folgen befragt.

Herr Rechtsanwalt Richter: Was passiert Bürgern, wenn gegen die Ausgangsbeschränkungen verstoßen wird?

Rechtsanwalt Richter: Seit 20. März gibt es in Bayern eine Ausgangsbeschränkung, diese ist wohl auch verfassungsgemäß, wenn man die kürzliche erfolglose Verfassungsbeschwerde einer Anwältin aus Baden-Württemberg als Maßstab nimmt, die sich gegen die dortige Corona-Verordnung richtete. In Baden-Württemberg gibt jedoch keine Ausgangsbeschränkung, sondern ein Kontaktverbot. In Bayern muss man mit Bußgeldern in der Regel von 150,00 € rechnen, wenn man bewusst gegen die Allgemeinverfügung verstößt oder den Mindestabstand von 1,50 m nicht einhält. Bei Besuch eines Altenheims können es aber schon mal 500,00 € sein, mehr wenn man in einer Gruppe gegen die Ausgangsbeschränkung verstößt ohne dass ein triftiger Grund vorliegt. Im letzteren Fall kann sogar eine Haftstrafe verhängt werden. In jedem Fall kann man sich gegen ein Bußgeld mit dem Einspruch wehren. Das macht auch Sinn, wenn das Bußgeld nicht gerechtfertigt ist. Die Ausgangsbeschränkung ist an mehreren Stellen unklar und die verschiedenen Gebietskörperschaften wenden sie teilweise unterschiedlich an. Insbesondere an Ostern kann man davon ausgehen, dass viele BürgerInnen dagegen verstoßen haben, die sonst noch nie gegen ein Gesetz verstoßen haben. Da kann im Einzelfall eine hohes Bußgeld durchaus gedrückt werden, wenn man die Großmutter besucht, die sonst einsam in ihrer Wohnung versauert oder wenn man in einer Fahrgemeinschaft zur gemeinsamen Arbeitsstelle fährt.

Was gilt für Gewerbetreibende?

Wer seine Gaststätte für Essensgäste im gewohnten Betrieb öffnet oder seinen Laden, der nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens dient, der muss mit Bußgelder von bis zu 5.000 € rechnen. Wer als Betreiber die vorgeschriebene Aufenthaltsbeschränkung im Wartebereich nicht einhält (max. 10 Personen) den erwartet ein Bußgeld von 1.000,00 €. Trifft das dann den Supermarkt, wenn vor dessen Kasse mehr als zehn Personen warten? Vieles bleibt noch nebulös.

Man hört von Menschen, die sogar in Psychiatrien untergebracht werden, wenn sie mehrfach gegen die Ausgangsbeschränkung verstoßen.

Das ist bedenklich, wenn Gesunde weggesperrt werden, die keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Hier darf deren Isolierung keinesfalls über eine bestimmte Dauer hinausgehen, das wäre unverhältnismäßig. In Landshut musste ein junger Mann nach dem dritten Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkung für eine Woche in die JVA. Zuletzt traf es sogar einen minderjährigen Intensivtäter aus Immenstadt. Nach jetziger Rechtslage bekommen die Corona-Verweigerer keinen Pflichtverteidiger, obwohl mit der Haft der größtmögliche Eingriff in deren Freiheit vorgenommen wird. Da muss der Gesetzgeber meiner Ansicht nach dringend nachbessern.

Mal ein anderes Thema: Was machen Vereine, die ihre Mitgliederversammlungen durchziehen müssen? Wo gegebenenfalls schon die Neuwahlen überfällig sind?

Der Gesetzgeber hat jüngst das Bürgerliche Gesetzbuch so geändert, dass derartige Vereinsvorstände weiter im Amt bleiben, wo coronabedingt keine Mitgliederversammlung durchgeführt werden kann. Die Anrufung des Registergerichts um ggf. einen Notvorstand zu bestellen hat sich damit erledigt. In dem Zug wurde auch die Möglichkeit Mitglieder- und Vorstandssitzungen virtuell durchzuführen erleichtert. Man kann jetzt schriftlich eine Mitgliederversammlung durchführen ohne dass alle Mitglieder dem zustimmen müssen. Wichtig ist nur, dass alle Vereinsmitglieder zum einen über die Möglichkeit der schriftlichen Abstimmung nachweislich informiert werden und dann mehr als die Hälfte an der schriftlichen Abstimmung teilnimmt. Wie dies in der Praxis aussieht, etwa das Handling von Nachfragen von Rechenschaftsberichten und die Gestaltung der Tagesordnung mit Wahlvorschlägen, ist durchaus spannend.